Tom Hammerbacher, Manager Digital Factory, Vertical Market Management Factory Automation, Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Bad Pyrmont
In der modernen Produktion erweisen sich ungeplante Stillstände als kostspieliger Störfaktor. Mit MLnext Creation stellt Phoenix Contact eine Lösung zur Verfügung, die es Domänenexperten ermöglicht, ohne KI-Kenntnisse leistungsfähige Modelle zur Anomalieerkennung zu erstellen. Die Kombination aus MLnext Creation und MLnext Execution erlaubt es, Anomalien nicht nur zu erkennen, sondern auch zu interpretieren – ein entscheidender Schritt in Richtung vorausschauende Instandhaltung.
Am Anfang der Machine-Learning-Lösung steht die Auswahl der relevanten Datenpunkte. Wichtig ist, dass die entsprechenden Sensorwerte oder Variablen die zu überwachende Komponente oder den zu analysierenden Prozess abbilden. Für einen Elektromotor bieten sich zum Beispiel die Leistungsaufnahme, Vibration und Temperatur an. Wenn am Motor ein Problem vorliegt, muss sich dieses ebenfalls in einer Veränderung der Sensorwerte bemerkbar machen. Dabei ist unwesentlich, dass die Art der Anomalie in den Sensordaten auch von einem Menschen detektiert und interpretiert werden kann. Außerdem muss der Experte diese Störungen nicht in den Daten markieren. Die in MLnext eingesetzten Modelle sind in der Lage, das untypische Verhalten allein durch die Abweichung zum Normalverhalten unter Berücksichtigung des Zeitverlaufs festzustellen. Sind markierte Daten vorhanden, lassen sich diese trotzdem zur Validierung und Verbesserung des Modells einbringen. Nach ihrer Auswahl und Aufzeichnung können die Daten nun in MLnext Creation hochgeladen werden.
Interpretation von Abweichungen
Bei MLnext Creation handelt es sich um eine Software-Lösung zur Erstellung von Machine-Learning-Modellen auf Basis von Zeitreihendaten. Die Besonderheit: Die Modelle werden automatisch generiert, ohne dass Programmierkenntnisse erforderlich sind. Anwender können über eine Weboberfläche Experimente konfigurieren sowie Modelle trainieren und vergleichen. Ein zentrales neues Feature stellt die Interpretation von Anomalien mithilfe von Graph Deviation Networks (GDN) und Variational Autoencoders (VAE) dar. Mit diesen Modellen lassen sich nicht nur Abweichungen feststellen, sondern auf einzelne Sensoren und Prozessschritte lokalisieren. Darüber hinaus ist ersichtlich, wie der Wert vom erwarteten Normalverhalten abweicht. So wird aus einem bloßen Alarm ein interpretierbarer Hinweis für den Instandhalter.
Das generierte Modell lässt sich aus MLnext Creation als Datei herunterladen und in MLnext Execution auf den Live-Daten anwenden. Phoenix Contact setzt hier auf den offenen Austauschstandard für Machine-Learning-Lösungen ONNX (Open Neural Network Exchange). Somit können Modelle aus anderen Machine-Learning-Lösungen ebenfalls genutzt und mit MLnext Execution in der Industrie verwendet und verwaltet werden. Die neusten Prozessdaten lassen sich beispielsweise direkt aus Datenbanken laden, die Phoenix Contact für die Steuerungen PLCnext Control bereitstellt. Zudem können die Daten per OPC UA, REST-API oder einen Streaming-Prozessor übergeben werden. MLnext Execution führt die Modelle dann kontinuierlich oder lediglich bei Bedarf aus. Dabei werden Durchlaufzeiten überwacht und die Ergebnisse zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass die Antwort des Modells in der gewünschten Zeit für die Weiterverarbeitung vorliegt. Als Beispiel sei ein Förderband genannt, das nach einer Qualitätskontrolle in verschiedene Richtungen angesteuert wird.
Vorbereitung für den Server-Client-Betrieb
MLnext Creation kann auf PCs installiert werden, die mit dem Betriebssystem Windows 11 arbeiten. Für die Erstellung von Modellen zur Analyse von Zeitreihendaten ist eine Grafikkarte nicht zwingend notwendig. Mit einer bestehenden und CUDA-fähigen Graphics Processing Unit (GPU) lässt sich MLnext Creation aber problemlos erweitern. MLnext Execution kann auf die Steuerungen PLCnext Control sowie die Edge-PC von Phoenix Contact als App aufgespielt werden. Dadurch wird das Machine-Learning-Modell direkt dort ausgeführt, wo die Daten für die Automatisierung verarbeitet werden. Dies ermöglicht kurze Antwortzeiten, zum Beispiel in Kombination mit dem Kommunikationsstandard OPC UA.
Sind hohe Flexibilität und Skalierbarkeit gefragt, lassen sich die MLnext-Lösungen auch als OCI-Container (Open Container Initiative) einsetzen. Durch die Umsetzung der Benutzeroberflächen als Web-Front-End und die Bedienbarkeit über eine REST-API sowie Benutzerverwaltung ist MLnext bestens für den Server-Client-Betrieb vorbereitet. Phoenix Contact nutzt MLnext auf dem unternehmenseigenen Deep-Learning-Server. Somit können mehrere Fachabteilungen die Services von MLnext unabhängig voneinander verwenden. Ferner lässt sich MLnext beliebig mit anderen auf einem OCI-Container basierenden Lösungen von Phoenix Contact kombinieren. Beispielsweise bietet der Einsatz zusammen mit der Virtual PLCnext Control sowie den IIoT-Apps des Unternehmens ein Automatisierungs- und Analysesystem. Damit stehen als Ausführungsplattform deutlich mehr Möglichkeiten zur Verfügung. Die Nutzung in der zentralen IT-Abteilung auf einem Server oder in der Cloud ist ebenso realisierbar.
Erstellung ohne Programmierkenntnisse
Mit MLnext Creation gelingt der Brückenschlag zwischen domänenspezifischem Wissen und moderner KI-Technologie. Mit der Lösung können Instandhalter und Servicetechniker eigenständig leistungsfähige Modelle zur Anomalieerkennung erstellen – ganz ohne Programmierkenntnisse. Durch die Kombination mit MLnext Execution lassen sich die Modelle direkt in der Produktion verwenden und liefern interpretierbare Hinweise statt bloßer Alarme. So werden ungeplante Stillstände reduziert, Prozesse optimiert und die Anlagenverfügbarkeit nachhaltig gesteigert. MLnext ist folglich ein zentraler Baustein für eine zukunftsorientierte, datengetriebene Instandhaltungsstrategie.
Über Phoenix Contact
Phoenix Contact bietet innovative Produkte, Lösungen und Digitalisierungskompetenzen für die Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung aller Sektoren von Wirtschaft und Infrastruktur. Damit befähigt das Familienunternehmen die Industrie und die Gesellschaft bei der Transformation in eine nachhaltige Welt mit langfristigen Wachstumsperspektiven für alle – und das mit Leidenschaft für Innovation und Technik. Rund 21.000 begeisterte Menschen rund um den Globus treiben gemeinsam mit Kunden und Geschäftspartnern diese Lösungen für die Energiewende voran. Weltweit wird in einem Fertigungsnetzwerk mit unterschiedlich hoher Fertigungstiefe produziert. Zur Phoenix Contact-Gruppe gehören mehr als 50 internationale Tochtergesellschaften. So ist das Unternehmen immer nah an den Märkten und Kunden. Die ganzheitlichen Konzepte inklusive Engineerings- und Serviceleistungen kommen zum Beispiel in der Verkehrsinfrastruktur, der Elektromobilität, für sauberes Wasser, regenerative Energien und intelligente Versorgungsnetze oder im energieeffizienten Maschinen- und Anlagenbau zum Einsatz.
Effizient, sicher, zukunftsfähig: Mit Digitalisierung, moderner Automatisierung und intelligenter Energieversorgung in die nächste Generation der industriellen Produktion.