Herr Thelen, was bedeutet die SPS – Smart Production Solutions für Sie?
Die SPS ist für mich ein Schaufenster der industriellen Zukunft. Hier erlebt man, wie Maschinenbau, Automatisierung und Software die Zukunft der Produktion bilden. Das sind genau die Themen, anhand derer entschieden wird, ob Europa technologisch relevant bleibt oder nur noch hinterherläuft.
Die Automatisierungsbranche sowie die deutsche Industrie insgesamt stehen vor großen technologischen Herausforderungen. Wie bewerten Sie den aktuellen Wandel?
Wir befinden uns mitten in einem massiven Umbruch. Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Robotik und autonome Systeme verändern ganze Wertschöpfungsketten, aber in Europa fehlt uns der Mut, progressiv zu investieren. Während in den USA und China Milliarden in neue Industrieplattformen fließen, diskutieren wir hier über Vorschriften und Regularien. Wenn wir das Tempo nicht drastisch erhöhen, verlieren wir weitere Industrien und damit die Grundlage unseres Wohlstands.
Was macht die Automatisierungsbranche trotz allem spannend für Sie?
Industrie und Automatisierung sind die DNA unserer Wirtschaft. Wir haben unglaubliches Know-how in Maschinenbau, Steuerungstechnik und Robotik, aber wir müssen diese Stärken jetzt konsequent mit moderner Software und KI verbinden. Es muss wirklich klar sein: Automate or Die.
Industrial AI: Verständnis von Datenqualität und industrielle Prozesse sind essenziell
Welche Rolle spielen Start-ups in diesem Transformationsprozess?
Start-ups sind die einzige Chance, wirklich neu zu denken. Sie haben keine Legacy, sondern starten frisch auf Basis aktueller Technologien. Große Unternehmen optimieren, Start-ups disruptieren. Aber in Deutschland fehlt oft der Mut, junge Teams in die Produktion zu lassen oder ihnen Verantwortung zu geben. Wenn wir ernsthaft innovativ sein wollen, müssen wir Start-ups in die industrielle Wertschöpfung integrieren und nicht nur auf Konferenzen über sie sprechen.
Was brauchen junge Tech-Unternehmen, um in der Industrie Fuß zu fassen?
Sie brauchen schnellere Entscheidungswege und echte Risikobereitschaft von Industriepartnern. Früher hieß es “You never get fired for buying IBM”. Wer traut sich, Chance und Risiko abzuwägen und sich für die Technologie eines Start-ups zu entscheiden? Wer traut sich, Entscheidungen schneller und effektiver zu treffen? Geschwindigkeit schlägt Perfektion und große Chancen haben große Risiken. Wir müssen Angst davor haben, Chancen zu verpassen - nicht vor möglichen Fehlentscheidungen.
Ein zentrales Thema der SPS 2025 ist Industrial AI. Wo sehen Sie aktuell die größten Potenziale – und wo wird der Hype überschätzt?
Das Potenzial ist riesig: Mit Industrial AI können wir Produktionsanlagen intelligenter, flexibler und effizienter machen. Die Herausforderung ist nicht die Technologie, die ist da. Die Herausforderung liegt in der Umsetzung. Viele Unternehmen sammeln Daten, aber nutzen sie nicht. Wir brauchen eine klare Strategie, wie KI in die Steuerung und Optimierung von Prozessen eingebettet wird. Überschätzt wird KI dann, wenn man glaubt, sie löse alle Probleme automatisch. Ohne Verständnis für Datenqualität und industrielle Prozesse bleibt sie ein Buzzword.
Wie stellen wir sicher, dass Industrial AI nicht zur „Black Box“ wird, deren Entscheidungen niemand mehr nachvollziehen kann?
Das ist eine europäische Stärke: Wir können Systeme entwickeln, die nachvollziehbar, transparent und sicher sind. Wir müssen eigene Standards schaffen, mit offenen Schnittstellen und erklärbaren Modellen. Dann behalten wir technologische Souveränität.
Wie verändert Industrial AI die Rolle des Menschen in der Produktion?
Der Mensch verschwindet nicht, sondern kann effektiver arbeiten. Routinearbeit übernehmen Maschinen, aber Analyse, Anpassung und kreative Problemlösung bleiben in letzter Instanz menschlich.
Sind deutsche beziehungsweise europäische Unternehmen beim Thema Industrial AI gut aufgestellt – oder droht uns hier ein Rückstand?
Wir haben einen Rückstand. Die USA dominieren die Plattformen, China skaliert Technologien in atemberaubendem Tempo und Europa diskutiert über Richtlinien. Wir müssen aufhören, KI als Forschungsprojekt zu sehen, und anfangen, sie industriell zu implementieren. Das bedeutet: weniger Politik, mehr Produkt.
„Der Mensch verschwindet nicht, sondern kann mit dem Einsatz von KI-Technologien effektiver arbeiten.“
Was muss passieren, damit Europa bei Industrial AI nicht nur mitspielt, sondern mitgestaltet?
Wir brauchen Mut zur Umsetzung, echten Technologie-Fokus und den Willen, Risiken einzugehen. Europa hat die besten Ingenieure, aber zu wenig Gründer, die daraus global erfolgreiche Firmen bauen. Wir müssen ein Ökosystem schaffen, in dem Mut, Geschwindigkeit und Skalierung endlich wieder belohnt werden.
Was macht die SPS 2025 für Sie zu einem Pflichttermin?
Hier trifft man die Macher. Die Köpfe, die Strategie definieren und den Maschinenraum von morgen kennen. Ein effektiver und wertvoller Austausch für alle aus der Industrie.
Herr Thelen, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.
Das Interview wurde geführt und redigiert von: Nora Nuissl, Content Manager SPS New Business und Julia Strobl, Marketing Manager SPS.