Interview: Nora Nuissl
Herr Winkler, was hat die Automatisierungsbranche in 2024 am meisten bewegt?
Die anhaltende Investitionszurückhaltung in der Industrie, die seit fast zwei Jahren aufgrund vieler geopolitischer Herausforderungen zu beobachten ist, hat auch 2024 die Branche geprägt. Dies wirkt sich spürbar auf die Wirtschaft aus, da Wachstumsimpulse fehlen und die Nachfrage in vielen Bereichen stagniert. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Unternehmen, sich diesen Herausforderungen anzupassen.
Gerade in solchen Zeiten zeigt sich jedoch, wie essenziell die Automatisierungstechnik als Wachstumstreiber der Industrie ist. Sie ermöglicht Innovationen und neue Geschäftsmodelle, die Unternehmen helfen, ihre Effizienz zu steigern und nachhaltige Wertschöpfung zu schaffen. Die Besucherzahlen der SPS 2024 unterstreichen eindrucksvoll das Interesse an Automatisierungslösungen und die zentrale Rolle unserer Branche für die industrielle Zukunft. Automatisierung ist und bleibt der Schlüssel, um die Industrie zukunftssicher und wettbewerbsfähig zu gestalten.
Wo steht die deutsche Automatisierungsindustrie im internationalen Vergleich?
Die deutsche Automatisierungsbranche ist international führend. Um diese Spitzenposition zu halten und auszubauen, ist es entscheidend, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit der Automatisierungstechnik weiter voranzutreiben. Technologische Führerschaft bleibt zwar unverzichtbar, reicht aber allein nicht mehr aus.
Nur durch offene Lösungen, die im “kollaborativen Wettbewerb” echten Nutzen für Anwender schaffen, können wir im internationalen Wettbewerb langfristig bestehen. Der Schlüssel liegt in der Schaffung von Ökosystemen, die die Stärken verschiedener Akteure bündeln und so neue, innovative Ansätze ermöglichen.
Mit solchen Ansätzen bleibt die deutsche Automatisierungsindustrie Vorreiter und zeigt, dass der Erfolg von morgen in der Zusammenarbeit liegt – durch Spitzentechnologie und gemeinsamen Mehrwert für die Anwender.
Welche Trends oder Technologien werden Ihrer Meinung nach 2025 die größte Auswirkung auf die Industrie haben?
Im nächsten Jahr wird das Thema Künstliche Intelligenz (KI) weiter Fahrt aufnehmen. Bereits jetzt werden KI-Lösungen in der Industrie genutzt, zum Beispiel für Engineering-Prozesse oder als Assistenz für Mitarbeitende in der Montage. Die Lösungen werden immer intelligenter und die Einsatzbereiche nehmen rasant zu.
Bei all der Digitalisierung und Vernetzung stellt sich zunehmend die Frage nach der Sicherheit. Mit dem Ende 2024 in Kraft getretenen Cyber Resilience Act (CRA) stehen Unternehmen nun vor der Aufgabe, ihre digitalen Produkte umfassend sicher zu gestalten. Der CRA legt sowohl für Hersteller als auch für Händler verpflichtende Cybersicherheitsanforderungen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg fest – und zwar für alle Produkte, die mit einem anderen Gerät oder Netzwerk verbunden sind. Neben einer detaillierten Risikobewertung müssen Cyber-Risiken bereits in der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Die Produkte müssen standardmäßig sicher und update-fähig konzipiert sein. Zudem schreibt der CRA vor, dass kritische Sicherheitsvorfälle und ausgenutzte Schwachstellen innerhalb von 24 Stunden gemeldet und zeitnah durch Updates behoben werden. Dies ist ein wichtiger Schritt, um ein hohes Sicherheitsniveau zu schaffen und das Vertrauen der Anwendenden in digitale Lösungen zu stärken.
„Um das 1,5°-Ziel zu erreichen, muss vor allem die Industrie ihren Beitrag leisten. Eine nachhaltige Produktion berücksichtigt Faktoren wie Emissionsfreiheit und Ressourceneffizienz – und muss zugleich wirtschaftlich sein.“
Auch werden Nachhaltigkeit und Klimaschutz zunehmend hohe Priorität haben. Um das 1,5°-Ziel zu erreichen, muss vor allem die Industrie ihren Beitrag leisten. Eine nachhaltige Produktion berücksichtigt Faktoren wie Emissionsfreiheit und Ressourceneffizienz – und muss zugleich wirtschaftlich sein. Das beeinflusst auch die Auswahlkriterien von Automatisierungslösungen und definiert sie teilweise völlig neu. Es werden immer mehr Funktionen zum Energiesparen in Automatisierungskomponenten integriert – zum Beispiel der Smart Energy Mode in einem Servoantrieb. Dieser sorgt unter anderem dafür, dass die Energie intelligent im System gehalten wird und Lastspitzen weitestgehend vermieden werden. Umfangreiche Tools und Modelle für die Energie- und Leistungssimulation ermöglichen es, Anlagen energieoptimal auszulegen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Wiederverwendung von wertigen Automatisierungskomponenten. Durch professionelles Re-Manufacturing erhält beispielsweise ein gebrauchter Servomotor den Qualitätsstandard eines Neuprodukts inklusive Gewährleistung. Vergleichbar mit „refurbished“ Smartphones gelingt es damit auch Automatisierungsanbietern wie Bosch Rexroth, noch intelligenter Rohstoffe zu schonen, die Gesamtaufwände für Recyclingprozesse zu reduzieren und ökologische Verantwortung zu übernehmen. Ein wiederaufbereitetes Produkt reduziert beispielsweise den CO2-Fußabdruck um mehr als 50 % im Vergleich zum Neuprodukt.
Herr Winkler, vielen Dank für dieses Gespräch.
Mehr zur Person
Steffen Winkler ist CSO der Business Unit Automation bei Bosch Rexroth. Mit über 25 Jahren Berufserfahrung in Entwicklung, Produktmanagement, Business Development, Unternehmensstrategie, internationalem Vertrieb und Key Account Management, sowie aktiver Mitarbeit in Branchenverbänden, ist Steffen Winkler anerkannter Experte im weltweiten Automatisierungsmarkt. Seit 2020 treibt er mit Leidenschaft die Offenheit und Co-Creation in der Automatisierungswelt voran. Mehr Informationen unter: www.ctrlx-automation.com